„Wie konntest du nur?“

How Could You”
Copyright Jim Willis 2001
tiergarten@onebox.com
(Übersetzt aus dem Amerikanischen von Elvira Rösch und Nicole Valentin-Willis)

Als ich noch ein Welpe war, unterhielt ich
Dich mit meinen Possen und brachte Dich
zum Lachen. Du nanntest mich Dein Kind,
und trotz einer Anzahl durchgekauter Schuhe
und so manchem abgeschlachteten Sofakissen
wurde ich Dein bester Freund.
Immer wenn ich “böse” war, erhobst Du
Deinen Finger und fragtest mich “Wie
konntest Du nur?” – aber dann gabst
Du nach und drehtest mich auf den Rücken,
um mir den Bauch zu kraulen.

Mit meiner Stubenreinheit dauerte es ein
bißchen länger als erwartet, denn Du warst
furchtbar beschäftigt, aber zusammen
bekamen wir das in den Griff. Ich erinnere
mich an jene Nächte, in denen ich mich im
Bett an Dich kuschelte und Du mir Deine
Geheimnisse und Träume anvertrautest, und
ich glaubte, das Leben könnte nicht schöner sein.
Gemeinsam machten wir lange Spaziergänge
im Park, drehten Runden mit dem Auto,
holten uns Eis (ich bekam immer nur die
Waffel, denn “Eiskrem ist schlecht für Hunde”,
sagtest Du), und ich döste stundenlang in
der Sonne, während ich auf Deine
abendliche Rückkehr wartete.

Allmählich fingst Du an, mehr Zeit mit
Arbeit und Deiner Karriere zu verbringen – und
auch damit, Dir einen menschlichen
Gefährten zu suchen. Ich wartete geduldig
aud Dich, tröstete Dich über Liebeskummer
und Enttäuschungen hinweg, tadelte Dich
niemals wegen schlechter Entscheidungen
und überschlug mich vor Freude, wenn Du
heimkamst und als Du Dich verliebtest.

Sie, jetzt Deine Frau, ist kein
“Hundemensch” – trotzdem hieß ich sie in
unserem Heim willkommen, versuchte ihr
meine Zuneigung zu zeigen und gehorchte
ihr. Ich war glücklich, weil Du glücklich
warst. Dann kamen die Menschenbabies,
und ich teilte Deine Aufregung darüber. Ich
war fasziniert von ihrer rosa Haut und ihrem
Geruch und wollte sie genauso bemuttern.
Nur daß Du und Deine Frau Angst hattet,
ich könnte ihnen wehtun, und so verbrachte
ich die meiste Zeit verbannt in einem
anderen Zimmer oder in meiner Hütte.
Oh, wie sehr wollte auch ich sie lieben, aber ich
wurde zu einem “Gefangenen der Liebe”.

Als sie aber größer waren, wurde ich ihr
Freund. Sie krallten sich in meinem Fell fest,
zogen sich daran hoch auf wackligen
Beinchen, pieksten ihre Finger in meine
Augen, inspizierten meine Ohren und gaben
mir Küsse auf die Nase. Ich liebte alles an
ihnen und ihre Berührung – denn Deine
Berührung war jetzt so selten geworden –
und ich hätte sie mit meinem Leben verteidigt,
wenn es nötig gewesen wäre.

Ich kroch heimlich in ihre Betten, hörte ihren
Sorgen und Träumen zu, und gemeinsam
warteten wir auf das Geräusch Deines
Wagens in der Auffahrt. Es gab einmal eine
Zeit, da zogst Du auf die Frage, ob Du einen
Hund hättest, ein Foto von mir aus der
Brieftasche und erzähltest Geschichten über mich.
In den letzten Jahren hast Du nur noch
mit “Ja” geantwortet und das Thema
gewechselt. Ich hatte mich von “Deinem
Hund” in “nur einen Hund” verwandelt, und
jede Aussage über mich wurde Dir zum Dorn
im Auge.

Jetzt hattest Du eine neue Berufsmöglichkeit in
einer anderen Stadt, und Du und sie
werdet in eine Wohnung ziehen, in der Haustiere
nicht gestattet sind. Du hast die richtige
Wahl für “Deine” Familie getroffen, aber es
gab einmal eine Zeit, da war ich Deine
einzige Familie.

Ich freute mich über die Autofahrt, bis wir
am Tierheim ankamen. Es roch nach
Hunden und Katzen, nach Angst, nach
Hoffnungslosigkeit. Du fülltest die
Formulare aus und sagtest “Ich weiß, Sie
werden ein gutes Zuhause für sie finden”.
Mit einem Achselzucken warfen sie Dir
einen gequälten Blick zu. Sie wissen, was
einen Hund oder eine Katze in “mittlerem”
Alter erwartet – auch mit “Stammbaum”.
Du mußtest Deinem Sohn jeden Finger
einzeln vom Halsband lösen, als er schrie
“Nein, Papa, bitte! Sie dürfen mir meinen
Hund nicht wegnehmen!” Und ich machte mir
Sorgen um ihn und um die Lektionen, die Du
ihm gerade beigebracht hattest: über
Freundschaft und Loyalität, über Liebe und
Verantwortung, und über Respekt vor allem
Leben. Zum Abschied hast Du mir den Kopf
getätschelt, meine Augen vermieden und
höflich auf das Halsband und die Leine
verzichtet. Du hattest einen Termin
einzuhalten, und nun habe ich auch einen.

Nachdem Du fort warst, sagten die beiden
netten Damen, Du hättest wahrscheinlich
schon seit Monaten von dem
bevorstehenden Umzug gewußt und nichts
unternommen, um ein gutes Zuhause für
mich zu finden. Sie schüttelten den Kopf und
fragten “Wie konntest Du nur?”

Sie kümmern sich um uns hier im Tierheim
so gut es eben geht. Natürlich werden wir
gefüttert, aber ich habe meinen Appetit
schon vor Tagen verloren. Anfangs rannte
ich immer vor ans Gitter, sobald jemand an
meinen Käfig kam, in der Hoffnung, das
seiest Du – daß Du Deine Meinung
geändert hättets – daß all dies nur ein
schlimmer Traum gewesen sei… oder ich
hoffte, daß es zumindest jemand wäre, der
Interesse an mir hätte und mich retten
könnte. Als ich einsah, daß ich nichts
aufzubieten hatte gegen das vergnügte
Um-Aufmerksamkei-Heischen
unbeschwerter Welpen, ahnungslos
gegenüber ihrem eigenen Schicksal, zog ich
mich in eine ferne Ecke zurück und wartete.

Ich hörte ihre Schritte, als sie am Ende des
Tages kam, um mich zu holen, und trottete
hinter ihr her den Gang entlang zu einem
abgelegenen Raum. Ein angenehm ruhiger
Raum. Sie hob mich auf den Tisch und
kraulte meine Ohren und sagte mir, es sei
alles in Ordnung. Mein Herz pochte vor
Aufregung, was jetzt wohl geschehen würde,
aber da war auch ein Gefühl der
Erleichterung. Für den Gefangenen der
Liebe war die Zeit abgelaufen. Meiner Natur
gemäß war ich eher um sie besorgt.
Ihre Aufgabe lastet schwer auf ihr, und das
fühlte ich, genauso wie ich jede Deiner
Stimmungen erfühlen konnte.

Behutsam legte sie den Stauschlauch an
meine Vorderpfote an, während eine Träne
über ihre Wange floß. Ich leckte ihre Hand,
um sie zu trösten, genauso wie ich Dich vor
vielen Jahren getröstet hatte. Mit geübtem
Griff führte sie die Nadel in meine Vene ein.
Als ich den Einstich fühlte und spürte, wie die
kühle Flüssigkeit durch meinen Körper lief,
wurde ich schläfrig und legte mich hin,
blickte in ihre gütigen Augen und flüsterte
“Wie konntest Du nur?”

Vielleicht verstand sie die Hundesprache und
sagte deshalb “Es tut mir so leid”. Sie
umarmte mich und beeilte sich mir zu
erklären, es sei ihre Aufgabe dafür zu
sorgen, daß ich bald an einem besseren Ort
wäre, wo ich weder ignoriert noch
mißbraucht, noch ausgesetzt werden könnte
oder auf mich alleine gestellt wäre – einem
Ort der Liebe und des Lichts, vollkommen
anders als dieser irdische Ort. Und mit
meiner letzten Kraft versuchte ich ihr mit
einem Klopfen meines Schwanzes zu
verstehen zu geben, daß mein “Wie
konntest Du nur?” nicht ihr galt. Du warst
es, mein geliebtes Herrchen, an den ich
dachte. Ich werde für immer an Dich denken
und auf Dich warten.

Möge Dir ein jeder in Deinem Leben so viel
Loyalität zeigen.

Jim Willis
(Anmerkung: Dieses Gedicht stammt aus den USA. In Deutschland
werden Tiere in Tierheimen NICHT getötet, nur weil sie dort zu lange sitzen!)

Mit freundlicher Genehmigung von Gunda O´Neal, www.katzennothilfe.de

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